Geschichte


Geschichte zu Entschleunigung  „Es ist Freitagabend“

Es ist Freitagabend. Ich gehe nach der Arbeit noch SCHNELL in den Supermarkt, um fehlende Lebensmittel für das Abendessen zu besorgen. In 2 Stunden sind die Gäste da, ich muss noch kochen und das Wohnzimmer etwas auf Vordermann bringen. Natürlich habe ich eigentlich mehr Zeit dafür eingeplant, aber bei der Arbeit ist in letzter Minute wieder etwas auf meinem Schreibtisch gelandet, das UNBEDINGT SOFORT erledigt werden musste. Und nun habe ich den Salat – oder besser gesagt, ich habe den Salat noch nicht. Schnell durch die Supermarktreihen gesprungen, den Salatkopf in den Einkaufskorb und auf zu den Kassen. Innerhalb weniger Sekunden überprüfe ich die 3 geöffneten Kassen und entscheide mich für die ganz rechte. „Hier müsste es SCHNELL gehen …“

Und dann kommt es, wie es meistens kommt, wenn ich in Eile bin. Die ältere Dame, die gerade an der Reihe ist, sammelt in 10-Rappen-Stücken gemächlich ihre 4.30 zusammen. Der Herr zwei Plätze dahinter wird bereits ungeduldig. Die ältere Dame hat es nach gefühlten 10 Minuten geschafft, ihr Katzenfutter zu bezahlen, und ein junger Mann im Anzug ist an der Reihe. Nur eine Digitalkamera hat er, doch wie sich in Kürze herausstellt, möchte er diese gerade zurückgeben. Eine weitere Kassiererin wird ausgerufen. „O. k., das kann etwas dauern“, denke ich mir. Früher hätte ich spätestens jetzt panisch überlegt, ob ich doch noch SCHNELL das Kassenband wechseln sollte, doch heute mache ich etwas anderes: Ich „entschleunige“!

Ich muss etwas lächeln, denn ich freue mich eigentlich insgeheim, dass es wieder „geklappt“ hat. Das Leben hat mir wieder eine Situation zum Durchatmen beschert, da ich es in den ganzen Vorbereitungen für den Abend vielleicht vergessen hätte.

Ich nutze also meine Wartezeit, die ich in der momentanen Situation durch nichts beeinflussen kann. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass ich durch Ärger oder inneren Stress weder etwas beschleunigen noch vereinfachen kann. Auch mein mittlerweile verärgerter Vordermann wird mich deshalb nicht fragen, ob er mir vielleicht die Ehre erweisen darf, mich und meinen Salat vorzulassen … Ich nehme diese Situation also zunächst hin, wie sie ist, und verändere sie dann zu meinem Vorteil. Ich beginne mit ein wenig Selbstmotivation und sage mir innerlich die Worte: „Du schaffst das trotzdem alles rechtzeitig. Wahrscheinlich kommen die Gäste eh ein paar Minuten später und wenn nicht, freuen sie sich bestimmt über einen kleinen Aperitif, bis das Essen fertig ist. Alles wird gut werden.“ Währenddessen nehme ich meine Füße ganz bewusst wahr. Ich spüre, wie sie fest auf dem Boden stehen, und bemerke, dass sie wohlig warm sind. Ich versuche, nach und nach jeden Teil meines Körpers bewusst wahrzunehmen und ihn zu spüren. Auf dem Weg über mein Knie freue ich mich, dass die Schmerzen gerade weniger sind als sonst, wenn meine OP-Narbe häufig noch etwas zwickt.

Ehe ich mich versehe, bin ich auch schon an der Reihe. Ich lächle die Kassiererin, die zwischenzeitlich von dem Herrn vor mir ungeduldig als „lahme Ente“ beschimpft wurde, an und erhalte ein dankbares, fast schon erlösendes Lächeln zurück. Beim Verabschieden wünschen wir uns beide noch ein schönes Wochenende und ich freue mich beim Verlassen des Ladens schon auf meine nächste „Supermarkt-Meditation“.


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